Das ABC der Esskultur – Afghanistan

In der neuen Reihe „Das ABC der Esskultur“ nehme ich Euch mit auf eine Reise rund um die Welt in fremde Küchen und neue Geschmäcker. Was wird wo gegessen? Welche Traditionen stecken dahinter? Und welche Bedeutung hat die Esskultur für das jeweilige Land?

Heute ziehen wir nach: Afghanistan.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Afghanistan#/media/Datei:Flag_of_Afghanistan_(2013%E2%80%932021).svg

Ein Land das uns bekannt ist insbesondere durch Krieg, den es offiziell nicht gibt, Elend und Flüchtlinge. Das Land an der Schnittstelle von Süd- zu Zentralasien ist gebeutelt durch eine Geschichte von Terror und Not und kämpft um sein Überleben.

Afghanistan aber ist viel mehr als das, was wir täglich über es hören. Afghanistan bietet eine vielfältige Landschaft, hohe Berge, unzählige Flüsse und eine tief verwurzelte Kultur. Diese entstand unter dem Einfluss der verschiedenen Völker, welche in Afghanistan leb(t)en oder es durchquerten: Krieger, Händler und Missionare. Entsprechend viele Sprachen werden gesprochen: es gibt 50 Sprachen und noch weitere 200 Dialekte.

Lebensgrundlage

 Durch den Krieg gibt es nicht mehr viele Flächen, welche für die Landwirtschaft genutzt werden können. Die Böden sind zerstört oder es fehlt an Wasser. Trotz der vielen Flüsse, welche den Bergen entspringen, hat das Land insbesondere in den Sommermonaten mit Trockenheit zu kämpfen. Die Flüsse versickern nämlich noch im Land und können nicht für den Anbau genutzt werden.

Die afghanischen Bauern bauen Weizen, Gerste, Reis und Baumwolle an. Obwohl es verboten ist, leben viele Menschen vom Anbau des Schlafmohns, aus dem Opium hergestellt wird. Früchte wie Weintrauben, Äpfel, Aprikosen und Pfirsiche werden fast ausschliesslich für den eigenen Gebrauch geerntet; Afghanistan hat nahezu keinen Export, ist aber auf Import angewiesen.

Die noch heute in Afghanistan lebenden Nomaden ziehen mit ihren Herden durch das ganze Land. Der Grossteil der Herden besteht aus Schafen, es gibt aber auch Pferdezuchten.

Die mannigfaltige Kultur spiegelt sich auch im Essen wieder. Der Handel mit der Türkei, Indien und China beeinflusste die Ernährung und gestaltete sie vielfältig. Ihre Rezepte sind mild und nicht scharf, und die Köche holen aus den wenigsten Zutaten alles raus. Gewürzt wird mit Kardamom, frischem Koriander und getrockneter Minze.

Die Afghanen sind bekannt für ihre Gastfreundschaft und ihre Grosszügigkeit. Fremde werden gerne zum Essen nach Hause eingeladen und selbst das Wenige, das manche besitzen, wird mit den Gästen geteilt. Sie geniessen das Essen und freuen sich, mit anderen zusammen die Mahlzeiten zu teilen.

Traditionell wird mit der ganzen Familie gegessen. Dazu wird ein Tuch auf dem Boden oder dem Tisch ausgebreitet und die Speisen werden darauf verteilt. Die Familienmitglieder setzen sich drum herum (es gibt keine Sitzordnung) und essen mit der rechten Hand. Genossen wird das Mahl mit Naan-Brot und Tee, als Nachtisch gibt es Trauben und Melonen oder selten auch eine richtige Süssigkeit, wie wir sie kennen: Schokolade, aber auf afghanisch.

Die Küche

Die Küche zeichnet sich durch Vielfältigkeit mit gleichzeitiger Einfachheit aus. Es gibt Currys, Eintöpfe, Dumplings und Brot. Der regionale Einfluss ändert die Rezeptur und Gestaltung, was insbesondere bei den Dumplings sichtbar wird: manche bereiten Halbmonde zu, andere formen sie wie Tortellini oder drehen sie zu Kreisen. Auch die Füllung wird den regionalen Waren angepasst. Wenn den Gästen Dumplings aufgetischt werden, gilt das als Respektsbezeugung und die Gäste wissen das zu schätzen. 4 – 5 Frauen bereiten über mehrere Stunden zusammen die Dumplings vor, welche zusammen mit Dal (Brei aus Hülsenfrüchten) und Fleisch serviert werden.

Brot ist aus der afghanischen Küche nicht wegzudenken. Es wird heute noch von Bäckern zubereitet, die seit Generationen die eigene Rezeptur anwenden. Gebacken wird das Brot wie in alten Zeiten mit einem Tannur Ofen. Bei diesem brennt ganz tief eine Glut, wobei die Hitze nach oben transportiert wird. Die Teigfladen werden wortwörtlich an die Innenwände geworfen, wo sie kleben bleiben. Nach nur 1 Minute Backzeit ist das Brot fertig.

Quelle: https://syriastories.net/en/reviving-a-delicious-tradition/

Weit verbreitet sind Reisgerichte und Eintöpfe. Über die Jahre hat sich ein ganz spezieller Basmatireis entwickelt, welcher länger ist als andere Reissorten. Wie besonders dieser Reis ist zeigt dieses Zitat: „Hast Du afghanischen Reis gegessen, isst Du keinen anderen Reis mehr“. Die Afghanen sind sehr anspruchsvoll was korrekt zubereiteten Reis betrifft. Afghanische Köchinnen erlangen Ruhm, wenn sie den Reis perfekt zubereiten können und werden in ihrem Dorf dafür geehrt.

Fleisch wird mancherorts selten serviert, da sich dieses einige Afghanen nicht leisten können. Meistens wird Lamm gekocht, es gibt aber auch Ziege, Rind, Kamel, Geflügel oder Wild. Ihre Ernährung ist reich an Obst und Nüssen, welche die Mahlzeiten mit wertvollen Nährstoffen ergänzen.

Reis gilt bei fast allen Mahlzeiten als Hauptzutat. Zu den Mahlzeiten werden nebst Naan auch Salate, Bohnen, Linsen, eingelegte Gemüse und Jogurt angeboten. Alles wird in einzelnen Schalen und Schüsseln serviert und während des Essens herumgereicht.

Die Mahlzeiten & Tee

Die Mahlzeiten fallen vielfältig und in verschiedenen kreativen Gängen aus. Dabei machen die Afghanen keinen Unterschied zwischen 15 Freunden, die spontan vorbeikommen, und 5 Fremden, die angekündigt waren. Die Gäste sollen mindestens einen Nachschlag nehmen und alles komplett aufessen, damit der Gastgeber sicher sein kann, seine Gäste satt gemacht zu haben. Das stimmt ihn froh. Die geführten Diskussionen sind meist ausgelassen, laut und lebendig. Manch einer könnte die Gespräche als Streit interpretieren, aber das sind sie auf keinen Fall.

Tee hat einen grossen Stellenwert. Er wird mit Fremden, Freunden und Familie getrunken. Dabei gibt es den Grundsatz der 3 Tassen: bei jeder Zusammenkunft, egal ob geschäftlich oder privat, werden 3 Tassen Tee getrunken, bevor über Geschäfte oder Privates diskutiert wird. Die 1. Tasse ist für den Fremden, die 2. Tasse für den Freund, und die 3. Tasse für die Familie. Das gemeinsame Trinken stärkt und vertieft die Beziehung der Trinkenden.

Getrunken wird Grün- und Schwarztee und dazu werden Nüsse, Trockenfrüchte oder kleines Gebäck gereicht. Der Gastgeber schenkt den Tee Tasse für Tasse ein und überreicht sie seinen Gästen.

Reisgerichte

Bei den Reisgerichten gibt es zum Beispiel das Chalau. Es besteht aus braunem Reis, Lamm, Gemüse, Kurkuma und Koriander. Durch die Gewürze ist es leicht verdaulich und ausserordentlich gesund, denn Kurkuma hat eine breitgefächerte positive Wirkung auf unsere Gesundheit. Je nach Region wird das Chalau mit unterschiedlichen Zutaten zubereitet. Insgesamt dauert der Kochprozess ca. 3 Stunden. Dabei werden das Fleisch und das Gemüse resp. der Reis separat gekocht und anschliessend zuerst der Reis auf den Teller verteilt, und dann die Fleisch-Gemüse-Mischung darauf gebettet.

Quelle: http://legacy.culinate.com/content/263137/index.html

Beim Palau, ebenfalls ein Reisgericht, wird ein ganzes Hühnchen zuerst in einer Bratpfanne zusammen mit Zwiebeln und Zucker auf allen Seiten angebraten, wobei sich die Zwiebeln in eine karamellartige Sauce verwandeln. Sobald das Hühnchen aussen knusprig ist, stellt man es beiseite und verdünnt die entstandene Sauce mit Brühe. In einem Schmortopf wird der Reis angekocht, bis er noch bissfest ist. Das überschüssige Wasser des Reises wird entleert und dann wandert der Reis zusammen mit der Brühe vom Hühnchen wieder in den Topf zurück. So erhält der Reis eine ganz eigene, kräftige Würze. Das Hühnchen wird zerteilt und auf den Reis gesetzt, der Topf wird verschlossen und das Ganze im Ofen fertig gebacken. Anschliessend platziert man die Stücke des Hühnchens auf einer grossen Platte und bedeckt es mit dem Reis. Dadurch wird verhindert, dass sich einzelne Gäste zu raffgierig am Fleisch bedienen und andere zu kurz kommen. Eine beliebte Beilage sind Karotten mit Rosinen.

Eintöpfe

Qormas sind den indischen Currys sehr ähnlich. Die Zutaten werden in viel Sauce gekocht, mit Nüssen oder Nussmusen verfeinert, mit Trockenfrüchten wie Rosinen oder Pflaumen gesüsst und mit Joghurt serviert.

Joghurt ist ein grosser Bestandteil der afghanischen Ernährung. Er wird weiterverarbeitet zu Chaka, einer salzigen Masse, die an Mozzarella erinnert. Diese wird zu Kugeln geformt, welche man Kurut nennt. Kurut werden gerne als Snack oder Mahlzeit auf dem Markt verkauft.

Desserts

Wie oben geschrieben kennt die afghanische Küche Süssspeisen nicht so wie wir sie kennen. Sie sind aber Bestandteil von besonderen Anlässen wie Hochzeiten und werden oft als Geschenke mitgegeben. Und sie können sich sehen lassen, denn sie sind äusserst kreativ.

Der Seidenkebab besteht aus roher Eimasse, welche zu Fäden gezogen und um einen Spiess gewickelt über dem offenen Grill angebacken wird . Verfeinert wird das Dessert mit Sirup und Pistazien.

Bei Halwa handelt es sich um eine in der Pfanne angerührte Masse aus Mehl, Zucker, Safran und Mandeln oder Pistazien. Die Herstellung ist harte Muskelarbeit, denn in die trockene Masse muss kontinuierlich Wasser gegeben werden ohne dass die Masse aber zu nass oder zu trocken wird. Es gilt: rühren, rühren, rühren.

Quelle: https://www.cuisineactuelle.fr/recettes/halwa-afghan-303434

Jalepi ist eine Süssspeise aus Buttermilch, Zucker, Safran, Ghee und Mehl. Dabei werden ein Teil des Mehls und die anderen Zutaten ausser dem Ghee in einer Pfanne erhitzt und vermischt und dann über Nacht bei Raumtemperatur stehen gelassen. Am nächsten Tag gibt man das restliche Mehl und das Ghee dazu und füllt alles in eine Plastiktüte. Mithilfe dieser wird der Teig spiralförmig in eine heisse Pfanne gegeben und goldbraun gebraten. Anschliessend werden die Spiralen in Sirup getränkt und noch heiss serviert.

Das Nationalgericht

Als Nationalspeise gilt Qabili Palau, sagt man. Es gibt in dem Sinne kein offizielles Nationalgericht, aber das Gericht ist weitverbreitet und beliebt. Das Qabili Palau unterscheidet sich vom oben beschriebenen Palau in seiner Würze und ein klein bisschen in der Zubereitung. Interessant ist, dass dieses Gericht landesweit gleich gekocht wird, während sich andere Gerichte von Region zu Region unterscheiden.

Die Zutaten werden einzeln zubereitet und am Schluss miteinander kombiniert. Das Lamm wird im Topf mit Zwiebeln, Knoblauch und Salz geschmort, bis das Fleisch zart ist. In einer anderen Pfanne wird Zucker karamellisiert. Die entstandene Lammbrühe wird zum Zucker gegeben und mit Garam Masala gewürzt.

Als nächstes werden in einer Pfanne Karotten, Rosinen, Zucker, Kardamom und Mandeln kurz angebraten und beiseitegestellt. In einem Topf wird Reis gekocht bis er gar ist und dann mit der Lammbrühe-Zucker-Mischung übergossen. Das gibt dem Reis einen intensiven Geschmack.

Nun werden erst der Reis, dann das Lamm und abschliessend das Gemüse in einen Topf geschichtet. Dieser wird mit einem Handtuch bedeckt, dem sogenannten Sutak. Es verhindert, dass die Feuchtigkeit entweicht. Oben drauf kommt der Deckel, dann wird das Ganze 20 Minuten geköchelt und dann serviert.

So, wer hat Hunger? 😉

Jetzt interessiert mich natürlich auch Deine Meinung: hast Du schon afghanisch gegessen? Oder kennst Du das Land und seine Menschen? Melde dich gerne bei mir unter mail@nahrungsbewusst.ch

Das nächste Mal reisen wir nach Ägypten! Kennst Du die Küche bereits?

In dem Sinne guten Appetit & bis bald!

Sandrine von nahrungsbewusst